Flucht, Vertreibung, Integration

Texttafeln der Ausstellung

Ausstellung
Flüchtlinge und Vertriebene kommen in die Kreise Grimma, Wurzen und Borna Maßnahmen der Verwaltung gegen das drohende Chaos
Versorgung der Vertriebenen mit Wohnraum, Hausrat und Lebensmitteln
Die Versorgung der Vertriebenen mit Arbeitsplätzen
Horst Anders
Hans-Joachim Kullig

Maßnahmen der Verwaltung gegen das drohende Chaos

In den Wirren der letzten Weltkriegstage lag die Verantwortung für die öffentliche Ordnung in den Händen der Bürgermeister und Landräte. Die übergeordneten Verwaltungseinheiten des Dritten Reichs waren nicht mehr in der Lage Entscheidungen zu treffen. Die Versorgung der Flüchtlinge oblag dem Roten Kreuz, diese beschränkte sich jedoch auf medizinische Versorgung und eine warme Mahlzeit sowie Marschverpflegung füx einen Tag. Mit der Übernahme der sächsischen Verwaltung durch die Sowjetische Militäradministration (SMAD) fielen nun auch die Flüchtlinge in ihre Zuständigkeit. Die sowjetische Besatzungsmacht war sich der Lage in ihrem Verwaltungsgebiet durchaus bewusst. Um das Umsiedlerproblem zu bewältigen wurde zuerst die Zentralverwaltung für deutsche Umsiedler in der sowjetischen Okkupationszone ins Leben gerufen. Ihre Aufgabe war die landesweite Koordinierung der Flüchtlingsströme. Die Landesverwaltung Sachsen (L VS) wurde angewiesen eine Unterabteilung zu gründen, die sich speziell mit der Lage in Sachsen beschäftigte. Um vor Ort für die Umsiedler zu sorgen wurden Umsiedlerausschüsse auf Kreis-bzw. Gemeindeebene ins Leben gerufen. Ihre Hauptaufgaben waren die Wohnungs-, Hausrat- und Kleidungsbeschaffung, Bodenaufteilung, so genannte Brachlandaktionen und die Brennstoffbeschaffung. Sie setzten sich aus Vertretern der Verwaltung, der verschiedenen Parteien bzw. Organisationen und aus Umsiedlern zusam-men. Sie sollten auch zu einem Integrationsinstrument werden und den Vertriebenen eine Art Zusammenschluss ermöglichen, natürlich unter staatlicher Kontrolle.

Um die Masse an Flüchtlingen kontrollieren zu können wurden an der Grenze zwischen Sachsen und den Gebieten östlich der Oder-Neiße-Linie vier Auffanglager errichtet. Man rechnete mit 30.000 Personen pro Tag. Die Menschen erhielten hier medizinische Betreuung, eine vorübergehende Unterkunft, Lebensmittel und Bekleidung. Des Weiteren wollte man einen Überblick über die Zahl der Flüchtlinge erhalten. Jede Person bekam vor seiner Weiterleitung einen speziellen Umsiedlerpass, um sich ausweisen zu können. Über die Auffanglager wurden die Menschen dann geordnet in kleinere Übergangslager weitergeleitet. In unserer Region gab es Lager in Wurzen, Taucha und Leipzig. Die Einrichtung und Verwaltung dieser Übergangslager war die Aufgabe der Bürgermeister und Landräte. Lagerausschüsse wurden gebildet, um die Arbeit mit den Büxgermeistem und den Umsiedlerausschüssen zu koordinieren. Der Aufenthalt sollte so kurz wie möglich sein und die Weiterleitung in die angrenzenden Bundesländer schnellstmöglich vonstatten gehen. Dazu wurden Pläne zur Leitung des Flüchtlingsstroms erstellt. In geschlossenen Trecks, per Bahn, Schiff oder mit dem Pferdewagen, sollten sie weiterziehen.

Von Anfang an wurde in den Lagern politische Arbeit betrieben. Von der sowjetischen Besatzungsmacht befohlen und von der immer mehr erstarken-den SED propagiert, sollte den Flüchtlingen jegliche Hoffnung auf Rückkehr in ihre alte Heimat genommen werden. Die Absicht war, sie unumkehrbar und absolut mit der einheimischen Bevölkerung zu verschmelzen, es sollte eine Assimilation der Flüchtlinge stattfinden. Diskussionen über Grund und Schuld an der Vertreibung sollten nicht aufkommen. Daher wurde auch die Bezeichnung Flüchtling schnell im offiziellen Sprachgebrauch durch das Wort Umsiedler ersetzt, später kam noch der Begriff Neubürger hinzu. Die Pflege von heimatlichem Kulturgut wurde nicht gern gesehen, ebenso offizielle Treffen der Flüchtlinge. Sie sollten sich der bestehenden Kultur anpassen.

Die Beschaffung von Wohnraum, Hausrat und Arbeit sollte in den Augen der SMAD und der SED genügen, um sich eine neue Existenz aufzubauen und in der SBZ/DDR eine neue Heimat zu finden. Von der Regierung wurde 1950 das „Gesetz über die weitere Verbesserung der Lage der ehemaligen Umsiedlerinder DDR“ erlassen. Umsiedlerkredite sollten beim Aufbau einerneuen Existenzgrundlage helfen, bis zu 1.000 Mark konnten für Hausrat oder als Beihilfe zur Ausbildung beantragt werden. Auch für Neubauern und Neuhandwerker waren Kredite vorgesehen. Am 6. Juli 1950 erkannte die DDR die Oder-Neiße-Grenze offiziell als Friedensgrenze zwischen dem Gebiet der DDR, Polen und der Tschechoslowakei an. Dies sollte den Flüchtlingen deutlich machen, dass es keine Hoffnung auf eine Rückkehr in ihre alte Heimat gab und sie sich ihre Zukunft in der DDR aufzubauen hatten. Schon 1949 tauchten die Umsiedler nicht mehr gesondert in den Statistiken der DDR auf. Ganz offiziell wurde 1952/53 die erfolgreiche Lösung des Umsiedlerproblems propagiert. Das Thema hatte nur vor Wahlen ein besonderes politisches Gewicht, immerhin stellten die Umsiedler 1950 etwa 24,1 % der Bevölkerung in der DDR.