Neben den vielen Kirchenglocken die in Kriegen immer wieder von Einschmelzung betroffen waren gab es auch Glocken in Profanbauten, die dieses Schicksal ereilte.
Im Dachreiter des Grimmaer Rathauses befanden sich bis in den Ersten Weltkrieg hinein drei Glocken. Zwei gehörten zur Uhr und sorgten für den Stunden- bzw. Viertelstundenschlag. Die dritte Glocke war die Feuer- oder Bürgerglocke, mit welcher der Türmer bei Bränden Alarm schlug oder die Bürger zu Versammlungen zusammenrief. Bei Hinrichtungen soll sie ebenfalls zum Einsatz gekommen sein.
Die große Uhrwerkglocke sorgte für den Stundenschlag und war 34 cm hoch und 60 cm breit. Sie hatte keine Umschrift und stammte vermutlich vom Anfang des 16. Jahrhunderts.
Die kleinste Glocke war für den Viertelstundenschlag bestimmt und wurde laut ihrer Umschrift 1610 in Erfurt gegossen. Die volle Umschrift lautete: „Johann Moritz Byrgerm. anno 1610 gos mich Hieronimus Moeringk zu Erffurdt“. Johann oder auch Hans Moritz war 1609 und zuletzt im Jahr 1626 Bürgermeister der Stadt und veranlasste unter anderem 1610 den Einbau eines Viertelstundenschlagwerkes in die bestehende Rathausuhr, welche bis dato nur die vollen Stunden ankündigte. Hieronimus Möhring gehörte zu der relativ bekannten Glockengießerfamilie Möhring aus Erfurt, die im 16. und 17. Jahrhundert zahlreiche Glocken, hauptsächlich im heutigen Thüringen, goss. Möhringsche Glocken der Jahre um 1610 finden sich zum Beispiel in den Kirchen von Frankenberg (1608), Bad Berka (1609), Bergern (1612) oder Obergrunstädt (1616). Die Vielzahl der noch heute erhaltenen Möhringschen Glocken spricht für die Qualität der Gießerei.
Die Feuerglocke war mit 45 cm Höhe und 62 cm Breite die größte Glocke des Rathauses. Auch sie besaß eine Umschrift, die wie folgt lautete: „Consvles Christianus Devbner et Friedrich Hertel Anno 1674“. Demnach ließen Christian Teubner und Christian Friedrich Hertel die Glocke gießen. Beide wechselten sich in den Jahren von 1665 bis 1681 (Tod Hertels) im Bürgermeisteramt ab, Teubner wurde 1696 letztmalig Bürgermeister. In diese Zeit fällt auch der Bau eines neuen Dachreiters (1678), nachdem der alte baufällig geworden war. Aber auch der neue war gegen Ende des 18. Jahrhunderts so instabil geworden, dass man ihn bis 1809 wiederholt verkürzte und schließlich 1847 durch den heutigen Dachreiter ersetzte. Ihren letzten Dienst soll die Feuerglocke 1884 beim Brand des Husarenquartiers Ecke Lorenzstraße / Kreuzstraße verrichtet haben. Spätestens mit der Abschaffung des Türmers 1889 verlor sie ihre Funktion und verblieb ungenutzt im Glockenstuhl.
Aufgrund des zunehmend ungünstigen Kriegsverlaufes mussten bis zum 1. April 1917 alle Bronzeglocken über 20 kg bei der Militärbehörde zwecks Beschlagnahmung gemeldet werden. Ausgenommen waren nur Signalglocken, die zur Sicherung, wie etwa bei der Eisenbahn, dienten.
Die Glocken wurden zunächst nach ihrer künstlerischen, historischen und klanglichen Bedeutung von A bis C klassifiziert, wobei C die wertvollsten Glocken bezeichnete. Von den verbliebenen 6 Kirchenglocken der Stadt wurden übrigens 5 in diese Klasse eingestuft und eine in B. Die Rathausglocken hielt man dagegen für entbehrlich.
Am 26. Juni 1917 war es dann soweit und man schritt mit gemischten Gefühlen zur Demontage. Die 2115 Mark, welche die Stadt vom Kriegsministerium als Entschädigung für die drei Glocken erhielt, dürften dabei kein großer Trost gewesen sein. Die Glocke des Stundenschlags wurde durch einen Kesselboden in grober Glockenform, den die Maschinenfabrik (welche?) bereitstellte, ersetzt. Der Boden ist noch heute in Gebrauch und verrichtet, mit etwas seltsamen Klang, seinen Dienst. Baumeister Lehmann stellte zudem die kleine Uhrglocke der alten Amtshauptmannschaft zur Verfügung.
Fast genau zwei Jahre nach Abgabe der Glocken teilte die Metallmobilmachungsstelle der Stadt Grimma mit, dass sich die große Rathausuhrglocke noch auf dem Stapelplatz in Leipzig befände und zurückgekauft werden könnte. Während der Stadtrat zunächst dafür war, hatte der Rechnungsausschuß berechtigte Bedenken. Schließlich bestand die Gefahr, dass man eine beschädigte Glocke zurückerhielt, ganz abgesehen von den Kosten für Transport und Aufhängung. Die Sorgen waren durchaus begründet, denn in dem Schreiben der Mobilmachungsstelle war die Rede davon, dass ein Teil der vorhandenen Glocken beschädigt wäre.
Im Stadtrat entstanden daraufhin zwei Lager. Die Gegner meinten, dass nur wenige Einwohner die Glocke als wertvoll betrachten würden und der Kesselboden sogar haltbarer sei. Zudem würden die Aufwendungen den Betrag, den man 1917 für die drei Glocken bekam, übersteigen. Die Befürworter brachten an, dass eine echte Glocke weiter zu hören wäre und ansonsten eine Neuanschaffung ohnehin nötig würde, da der Kesselboden nur ein Provisorium darstelle. Man entschied sich schließlich einen Prüfer nach Leipzig zu schicken, um den Zustand der Glocke zu erfahren. Mitte Juli 1919 erhielt der Stadtrat ein Schreiben vom Kriegsministerium, in welchem mitgeteilt wurde, dass die gesuchte Glocke nicht mehr auffindbar sei. Da man nach dem verlorenen Krieg ohnehin dringendere Sorgen hatte, akzeptierte man endgültig den Verlust der Glocke und beließ es, letztendlich bis heute, bei dem 1917 eingerichteten Provisorium.
Peter Fricke, 2015