Postkutschenüberfall

Es ist eine stockfinstere Nacht. Eine einsame Postkutsche quält sich auf enger Straße durch den Wald den Berg herauf. Plötzlich erscheinen fünf dunkle Gestalten am Wegesrand. Sie sind mit Pistolen und Messern bewaffnet und halten die Kutsche mittels einer Blendlaterne auf. Der Kutscher wird von einer selbstgebauten Lanze getroffen. Durch weitere Hiebe und Messerstiche werden auch die Reisenden verletzt. Die Räuber durchsuchen die Kutsche und ohne etwas zu entwenden, verschwinden sie genau so schnell im Dunkel der Nacht wie sie auftauchten…

Nein, nicht im Wilden Westen spielten sich diese Szenen ab, sondern ganz in der Nähe von Grimma, auf der Colditzer Landstraße zwischen Nimbschen und Großbothen. In der Nacht vom 19. zum 20. November 1821 überfielen fünf Männer abends gegen halb Acht die Freiberg-Dresdener Postkutsche. Sie stachen und schlugen ohne Vorwarnung auf die vier Insassen ein, die jedoch alle den Überfall mit leichten Verletzungen überstanden und Alarm schlagen konnten. Die Aufregung war dennoch groß. So einen dreisten Überfall hatte es hier seit Lips Tullian nicht mehr gegeben. Sofort nach dem Bekanntwerden des Überfalls wurden Suchtrupps losgeschickt, welche die Räuber aufspüren sollten. Jedoch ohne Erfolg, da die Finsternis eine effektive Verfolgung verhinderte. Man fand nur einen Hut, Masken, einen Teil der zum Überfall benutzten Messer und Lanzen, sowie eine Pistole.

Umgehend wurde eine hohe Belohnung von 50 Talern für die Ergreifung der Räuber ausgesetzt. Außerdem wurde möglichen Mittätern Begnadigung zugesichert, sollten sie ihre Komplizen verraten. Nun hagelte es die wildesten Verdächtigungen und mehrere ehrbare Bürger aus Grimma wurden des Straßenraubs beschuldigt und vorübergehend verhaftet. Das Justizamt handelte schlicht nach dem Grundsatz: Jeder ist verdächtig, bis er seine Unschuld beweisen kann. Unter den Arrestanten befand sich u. a. der Schneidermeister Reifegerste, dessen Nachfahren bis in das 20. Jh. hinein ein Textilgeschäft in Grimma besaßen, und der Korbmachermeister Theilbar. Allerdings konnten alle Verdächtigen genügend Zeugen für ein Alibi vorweisen. Einen Haupttäter vermutete man in der Person eines reisenden Jägers, welchen man jedoch nie ermitteln konnte. Nach anderthalb Monaten musste man auch den letzten Verdächtigen, einen Goldarbeiter aus Borna, aus der Haft entlassen. Er war als Auswärtiger schlichtweg zur falschen Zeit am falschen Ort, da er an eben dem 19. November die Stadt verließ. Die wirklichen Straßenräuber konnten hingegen nicht ermittelt werden.

Die Freiberg-Dresdener Linie war seit 1700 die älteste und bis 1833 auch die einzige Postkutschenverbindung über Grimma. In den Hochzeiten der Postkutsche, während der 1860er Jahre, hatte Grimma tägliche Verbindungen nach Wurzen, Borna, Rochlitz, Leisnig, Waldheim, Bad Lausick und Wermsdorf. Der fortschreitende Ausbau des Eisenbahnnetzes machte jedoch die meisten Linien zunehmend überflüssig. Am 31. Juli 1893 endete für Grimma das Zeitalter der Postkutschen. An diesem Tag fuhr die letzte reguläre Landpost nach Bad Lausick.

Peter Fricke, 2015