20.12.2012 bis 04.08.2013
Den Verbrechen gegen die Deutschen im Osten ging eine menschenverachtende „Volkstumspolitik“ der deutschen Besatzer in Osteuropa voraus. Der nationalsozialistische Rassenwahn und Expansionsdrang führten nicht nur zur größten militärischen Auseinandersetzung der Weltgeschichte und zum Genozid an den europäischen Juden, sondern auch zu Flucht, Vertreibung und Vernichtung vieler Millionen slawischer Bewohner der von der Wehrmacht besetzten Gebiete.
Das Propagandabild vom „Bolschewisten“ löste parallel zum sowjetischen Vormarsch ab Oktober 1944 gewaltige Flüchtlingstrecks der deutschen Bevölkerung aus. Zunächst aus Ostpreußen, schließlich aus Schlesien und Pommern zogen Millionen in den Wintermonaten 1944/45 bei Schnee und Kälte zumeist zu Fuß mit Handwagen oder mit Pferdefuhrwerken in das westliche Reichsgebiet. Viele Fluchtwillige wurden zuvor von politischen Leitern zu lange vom Verlassen ihrer Orte zurückgehalten: Flüchtlingsströme passten nicht zu den bis zuletzt verkündeten Siegesparolen der NS-Propaganda.
Als im Januar 1945 die Front kurz vor den Provinzen Niederschlesien und Oberschlesien stand, kam der Befehl zur Evakuierung der Städte und Dörfer. Die Bevölkerung sollte für ca. zwei Wochen in westlicheren Gebieten untergebracht werden.
Nur für wenige Tage war die Ausreise aus Oberschlesien mit Hilfe der Bahn möglich. Die meisten Menschen zogen mit dem Nötigsten auf Pferdewagen oder zu Fuß in langen Trecks los. Man glaubte lange Zeit, wieder in die Heimat zurückkehren zu können. Dass die Flucht für die Meisten für immer sein würde, wusste zu dem Zeitpunkt noch niemand. Einige Deutsche entschieden sich allerdings auch gegen eine Flucht und blieben in der Heimat.
In der Zeit von 1945 bis 1950 waren mehr als zwölf Millionen Deutsche von Flucht, Vertreibung und Umsiedlung betroffen, Hunderttausende kamen ums Leben. Zwei Drittel der Ausgewiesenen waren Vertriebene im eigenen Land. Sie stammten aus den Ostgebieten des Deutschen Reiches, die entweder abgetrennt oder zunächst unter polnische Verwaltung gestellt wurden. Das andere Drittel bildeten deutsche Minderheiten, die seit Jahrhunderten in Ostmitteleuropa siedelten, in der Tschechoslowakei, in Polen, der Sowjetunion, Ungarn, Jugoslawien und Rumänien. Acht Millionen Vertriebene kamen in die westlichen Besatzungszonen, 4,5 Millionen in die sowjetische Besatzungszone. Ziel in Ost und West war eine schnelle Assimilation der Vertriebenen. Aber die Aufnahme von Millionen von Menschen erfolgte unter der Voraussetzung eines besiegten, besetzten und geschrumpften Landes, in dem die einheimische Bevölkerung hungerte und fror und die Städte in Trümmern lagen.
Daher folgte damals für viele Vertriebene ein zweiter Schock bei der Ankunft in der neuen „Heimatregion“. Die Vertriebenen fühlten sich von den Alteingesessenen häufig materiell und kulturell diskriminiert.
Von großer Bedeutung für langfristige soziale Integration war in der DDR ab den 1950er Jahren der Einstieg vieler Vertriebener in die Arbeiter- und Angestelltenschaft des industriellen Sektors sowie des Verwaltungsbereichs im SED-Staat. Individuelle Integration von Vertriebenen erfolgte unter den Bedingungen einer industriellen Leistungsgesellschaft.
Die Ausstellung ist ein Gemeinschaftsprojekt des Kreismuseums und des Gymnasiums St. Augustin in Grimma. Es wurden vor allem Zeitzeugen aus dem damaligen Kreis Militsch-Trachenberg interviewt. Ab Februar 1945 kamen ca. 40 000 Flüchtlinge und Vertriebene aus dieser Region ins Muldental bzw. in die Kreise Borna und Rochlitz. Viele von ihnen fanden hier eine neue Heimat. Die Bevölkerungszahl in den einzelnen Städten und Dörfern des Muldentals hatte sich bis 1950 im Durchschnitt um ein Viertel erhöht.
Ziel des Projektes war es, mittels einer Zeitzeugenbefragung zu ermitteln, wie die Flüchtlinge und Vertriebenen in den Dörfern und Städten Aufnahme fanden, welche Ausbildung sie durchliefen, welcher beruflichen Tätigkeit sie nachgingen und wie sich die „Neubürger“ mit den Verhältnissen in der DDR arrangierten.
Die Ergebnisse der zweieinhalb jährigen Untersuchung sind nun in der neuen Ausstellung des Kreismuseums Grimma zu sehen. Vorgestellt werden 20 Einzelschicksale von Bürgern des Landkreises Leipzig, die im Januar 1945 ihren schlesischen Landkreis Mititsch-Trachenberg verlassen mussten und hier in unserer Region eine neue Heimat fanden.
Außerdem entstand ein 45-minütiger Film, in dem die Zeitzeugen mit ihren Einzelschicksalen zu Wort kommen. Er wird im Rahmen der Ausstellung ebenfalls jeweils am letzten Sonntag im Monat im Kreismuseum gezeigt. Die Präsentation „Flucht, Vertreibung, Integration“ wird am 20.12.2012 eröffnet und ist im September 2013 noch einmal im Kulturministerium in Dresden zu sehen.
Unser Dank gilt Christian und Wolf Tschira für die Erlaubnis, eine Reihe von Fotos ihres Vaters Hanns Tschira aus dem Buch „Abschied von Lübchen“ für die Präsentation nutzen zu dürfen.
Unser besonderer Dank gilt Herrn Hans Joachim Nitschke, der uns den Einstieg in das Projekt durch zahlreiche Informationen, die Bereitstellung von Publikationen und die Nennung von Kontaktpersonen in Milicz erleichterte.
Gefördert wurde dieses Projekt vom Sächsischen Staatsministerium des Innern.