Die malenden Maurer Friedrich und Ludwig Harnisch

Sucht man nach alten Stadtansichten aus dem 16. Jh. bis zur Mitte des 19. Jh., kann man lediglich auf grafische Blätter oder Gemälde zurückgreifen. Die Fotografie wurde erst 1839 erfunden und auch die später so beliebten Ansichtskarten kamen erst am Ende des 19. Jh. auf. Ist man auf der Suche nach einer Ansicht von Grimma aus der Mitte des 19. Jh., findet man nicht selten Lithografien, die folgende Namen am unteren Bildrand nennen: F. Harnisch (Zeichner), A. Brandt (Lithograph), J.G. Fritzsche, Leipzig (Steindruck) und J.M. Gebhardt (Verlag).

Der benannte Zeichner F. Harnisch stammte aus Grimma. Friedrich Wilhelm Harnisch wurde am 30. April 1805 als der älteste Sohn von acht Kindern geboren. Sein Vater, Johann Gottlob Harnisch (1778-1854), war aus seiner Geburtsstadt Gera nach Grimma gezogen, um sich hier als Maurermeister niederzulassen. Johann Gottlob war von 1835 bis 1851 Obermeister der Grimmaer Maurerinnung. Er starb im August 1854. Friedrichs Mutter, Christiane Eleonore Harnisch, geborene Geschar, stammte aus Grimma.
Friedrich Wilhelm absolvierte von 1819 bis 1821 im väterlichen Betrieb seine Lehre als Maurer. Er heiratete am 22.1.1827 in Schaffhausen (Schweiz) die Tochter des Kunstgärtners, Hans Georg Bührer, Maria Magdalena (1806-1834) aus Bibern im Kanton Schaffhausen. Der erste Sohn der beiden (Johann Friedrich) kam schon 1826 in Schaffhausen zur Welt. Ob er seine Frau während seiner Zeit als wandernder Geselle kennengelernt hatte muss offen bleiben, wäre aber denkbar. 1827 bezeichnet sich Friedrich als Landschaftszeichner. Ab 1831 bot er seine Porträtmalerei in Öl an und benennt sich in diesem Jahr auch erstmals als „Maler und Kupferstecher allhier“.

Sieben Monate nach dem Tod seiner Frau heiratete Friedrich am 13. Januar 1835 ein zweites Mal – Maria Margaretha geb. Bucher – ebenfalls in Schaffhausen gebürtig. Sie war die älteste Tochter des Kutschers Georg Heinrich Bucher.
Von Friedrich stammt eine ganze Serie von Lithografien aus Grimma und der Umgebung, die in der Zeit zwischen 1820 und 1840 entstand. Weiterhin fertigte er auch Radierungen (daher sicher auch die Bezeichnung „Kupferstecher“). Das Kreismuseum besitzt drei Radierungen mit Grimmaer Motiven und zwei Radierungen befinden sich im Besitz des Museums in Schaffhausen mit dem Motiv des Rheinfalls. Da er wenigstens ein Jahr oder länger in Schaffhausen lebte, wird er sicher auch die Gelegenheit ergriffen haben, diesen imposanten Wasserfall zu zeichnen. Eindeutig zuordnen lassen sich die Blätter aber nicht, da sie nur mit „Harnisch“ signiert sind und nicht wie die Grimmaer Ansichten mit F. Harnisch. Im Grimmaer Trauregister bezeichnet sich Friedrich 1827 jedenfalls als „Landschaftsmaler zu Schaffhausen in der Schweiz“ und nicht als Maurergeselle, was für sein künstlerisches Schaffen in Schaffhausen spricht.
1863 wurde Friedrich Wilhelm – wie schon sein Vater – Obermeister der Maurerinnung. Er starb am 20. Mai 1864. Im Grimmaer Sterberegister wird er als Kunstmaler und Ratsmaurermeister bezeichnet.

Es gab aber noch einen zweiten Maler mit dem Namen Harnisch. Er ist nicht so bekannt wie Friedrich, da seine Stadtansichten selten signiert sind und scheinbar auch nicht in großen Auflagen herausgebracht wurden. Es handelt sich um Lud(e)wig Harnisch, den jüngsten Bruder.
Ludwig war das achte Kind von Johann Gottlob Harnisch und wurde am 14.4.1818 in Grimma geboren. Auch er absolvierte seine Lehre von 1832 bis 1835 im väterlichen Betrieb. Es ist anzunehmen, dass er sich in seiner Lehrzeit in der Sonntagsschule beim Amtsmaurermeister Nebel im Fach „architektisches Zeichnen“ weiterbildete. Die Sonntagsschule bot den Handwerks-Lehrlingen und Gesellen die Möglichkeit, sich in Lesen, Schreiben, Rechnen, Geometrie, Zeichnen und Modellieren weiterzubilden. Im Grimmaischen Wochen- und Anzeigeblatt von 1835 warb Karl Gottfried Nebel für seinen Zeichenunterricht. Ludwigs künstlerischen Fähigkeiten müssen schon bald recht gut ausgebildet gewesen sein, da er – wie schon sein Bruder – Unterricht im Malen anbot, ab 1852 auch für Mädchen. Der Unterricht für Jungen richtete sich auf das gewerbliche Zeichnen/Malen (Geometrie, Architektur, freies Zeichnen) und nicht auf die Kunstmalerei. Wie Nebel warb auch Ludwig Harnisch wiederholt im Grimmaischen Wochenblatt für seinen Zeichenunterricht und bezeichnete sich hier als Dekorationsmaler.

Ludwig schuf ebenfalls zwischen 1850 und 1870 eine Serie von Tusche-Zeichnungen mit Ansichten aus Grimma und der Umgebung.
Für die Grimmaer Schützengesellschaft malte er mehrere Schießscheiben. Das Museum allein besitzt fünf von ihm. Vier Scheiben haben romantische Berg- oder Waldlandschaften als Motiv und eine Scheibe von 1878 zeigt die Reiterattacke eines sächsischen Ulanen Regiments. Von einer weiteren Scheibe aus dem Jahr 1896 besitzt das Museum ein Foto.
Johann Ludwig Harnisch ist im Adress- und Geschäftshandbuch von Grimma 1887/88 als Maler in der Lorenzstraße 338b (Nr. 11/13) verzeichnet, danach verliert sich seine Spur in Grimma. Die Schießscheibe von 1896 könnte ein Beleg dafür sein, dass er zu dieser Zeit noch in Grimma wohnte. Im Sterberegister des Pfarrarchivs Grimma findet sich kein Eintrag mit seinem Namen. Wahrscheinlich verließ er kurz vor 1900 die Stadt. Harnisch war verheiratet mit Johanne Sophie geb. Hofmann (1817-1887). Ihr Vater war Glasermeister in Grimma.

Die Kombination Maurer und Kunstmaler scheint auf dem ersten Blick etwas ungewöhnlich, aber die Maurerlehrlinge waren angehalten neben Rechnen und Schreiben auch das Zeichnen zu erlernen. Kam hier noch eine persönliche Neigung zur Malerei wie bei den beiden Brüdern hinzu, konnte man es zu einer gewissen Kunstfertigkeit bringen. Für die Anwärter auf das Meisterrecht war eine gute Ausbildung im Zeichnen und Malen sogar zwingend notwendig. So forderten die Innungsartikel der Grimmaer Mauer von 1830 von demjenigen, der das Meisterrecht erlangen wollte, eine zweijährige Wanderschaft, die Anfertigung einer Kostenberechnung für Arbeitslohn und Materialkosten eines selbst entworfenen Hauses und verschiedener maßstabgerechter Zeichnungen von Gebäuden. Die erste Zeichnung sollte von einem dreistöckigen Wohnhaus mit den entsprechenden Seitengebäuden gezeichnet werden. Dabei waren alle Räume mit ihrer entsprechenden Nutzung aufzuführen. Die zweite Zeichnung sollte eine architektonisch verzierte Ansicht vom Vordergebäude eines zweistöckigen steinernen Wohnhauses für einen Rittergutsbesitzer sein. Wie genau die einzelnen Zeichnungen beschaffen seien mussten ist in den Artikeln sehr detailliert und ausführlich beschrieben. Damit wird klar, welchen Stellenwert das Zeichnen bei der Meisterausbildung der Maurer hatte.
Das Museum besitzt eine kleine Sammlung mit Arbeiten von Friedrich und Ludwig Harnisch. Dabei handelt es sich vor allem um Grafiken, aber darunter befinden sich auch mehrere Originalzeichnungen von Ludwig aus den Jahren 1850 bis 1865 sowie 2 Guaschmalereien und die Schützenscheiben.

Die beiden Brüder ließen ihre Zeichnungen mittels des lithografischen Druckverfahrens vervielfältigen. Für die Arbeiten von Friedrich ist der Lithograf A. Brandt (tätig um 1840) angegeben, auf den Arbeiten von Ludwig ist der Lithograf nicht verzeichnet. Die Landschaften von Ludwig erscheinen undeutlich, verwaschen. Die wenigen originalen Zeichnungen im Museumsbestand sind in Tusche ausgeführt, die geschlossene Flächen in Grau- bis Schwarzabstufungen aufweisen. Der Lithograf versuchte sicher diese Graustufen so gut wie möglich zu übertragen. Die Druckgrafiken von Ludwig erscheinen aber nicht so qualitätvoll wie die seines Bruders Friedrich, die von ausgesuchter Deutlichkeit sind. Von Friedrich besitzt das Museum keine originale Handzeichnung, weshalb über das von ihm verwendete Malmittel keine Aussage getroffen werden kann.

Die Aufgabe des Lithografen war es, die Zeichnung möglichst genau auf den Lithografiestein zu übertragen. Als Druckträger diente ein Kalkschieferstein aus Solnhofen in Bayern. Natürlich musste auch der Lithograf gut zeichnen können, da er das Original detailgetreu übertragen musste.
Bei den Lithografien der Gebrüder Harnisch handelt es sich um Kreidelithografien. Dabei wurde der Schiefer mit Quarzsand gekörnt und das Druckbild anschließend mit Kreide seitenverkehrt auf den Stein übertragen. Je nach Tonwert der Zeichnung wählte der Lithograf für helle Partien eine harte Kreide, für dunklere Bildstellen dagegen weichere Kreiden. Kleinere Korrekturen konnten mit dem Schaber vorgenommen werden. Durch das Wischen mit einem speziellen Wischer und dem Verreiben des Kreideauftrags ließen sich weiche Übergänge erzielen. Die Nachbehandlung der fertigen Zeichnung erfolgte mit Talkum und Gummi arabicum.
Den Druck selbst übernahm der Steindrucker. Die Arbeiten der Brüder Harnisch wurden in Leipzig in der Druckerei J.G. Fritzsche (tätig ca. 1848-1890) gedruckt.
Vertrieben wurden die grafischen Blätter von Friedrich durch den Verleger Julius Moritz Gebhardt, der von 1832 bis zu seinem Tod 1852 in Grimma tätig war. Seinen buchhändlerischen Nachlass übernahm 1855 Gustav Gensel, der ab 1865 Lithografien von Ludwig vertrieb. Vorher – ab 1850 hatte dies der Buchbinder Carl Vorholz übernommen. Gensels Sohn Bernhard übernahm das Geschäft seines Vaters am 1. Juli 1895 und fügte dem Verlag eine Kunstabteilung an, in der er Bilder von Grimma sowie künstlerische Ansichtskarten herausgab. Um 1930 – also etwa 100 Jahre nach dem Erscheinen der Lithografien von Friedrich Harnisch – gab er eine Mappe mit zehn seiner grafischen Blätter heraus. Diese Mappe fand guten Absatz in der Grimmaer Bevölkerung, sodass die Stadtansichten bis heute als beliebte Motive in den Wohnzimmern der Grimmaer oder in den Arztpraxen der Stadt zu finden sind.

Lithografien von Friedrich Harnisch
Illustre apud Grimam Moldanum (Lith. V. O. Hermann; Verlag der Wochenblatts-Expedition zu Rochlitz) um 1828

10 Lithografien um 1840 (signiert mit F. Harnisch); (1930 auch als Mappe veröffentlicht):
Grimma von Süden
Grimma von Osten
Die Königliche Landesschule zu Grimma
Das Seminar die Knabenschule und das Königl. Justizamt (Schloss) zu Grimma
Südliche Ansicht des Muldenthals bei Grimma vom Rabenstein aus
Nördliche Ansicht des Muldenthals bei Grimma vom Burgberge aus
Nördliche Ansicht des Muldenthals bei Grimma vom Zetten aus
Döben bei Grimma von Böhlen aus
Schloß Döben bei Grimma vom Zetten aus
Hohnstädt bei Grimma vom Burgberge aus

Radierungen von Friedrich Harnisch
Grimma gegen Mitternacht koloriert um 1827
Grimma gegen Morgen koloriert um 1827
Illustre apud Grimam Moldanum, koloriert um 1828
2 Blätter: Der Reinfall bey Schafhausen (Museum zu Allerheiligen Schaffhausen) kolorierte Umrissradierung und Radierung v. J. Raabe, verlegt im Kunstverlag von L. v. Kleist in Dresden

Gouache von Friedrich Harnisch
Rheinfall bei Schaffhausen, um 1825

Lithografien von Ludwig Harnisch um 1850 (teilweise signiert mit L. Harnisch):
Grimma von Norden
Grimma von Süden
Landesschule zu Grimma
Schulhof der Landesschule zu Grimma
Muldenau zu Grimma
Ruine des Klosters Nimbschen b. Grimma
Ansicht des Muldenthals bei Grimma von der Neumühle aus
Böhlen u. Hohnstädt bei Grimma
Schloß Döben bei Grimma
Grimma von Osten
Litho: Grimma von Osten und Handzeichnung: Grimma von Süden (auf einem Blatt)

Temperamalerei von Ludwig Harnisch
Schloß Döben, 1849
Schloß Döben nach dem am 8. Januar 1857 erfolgten Brande, vom 12.1.1857

Marita Pesenecker, 2021