Feste schießen und Feste feiern – Grimmaer Schützenscheiben und -feste

Begleitheft zur Ausstellung

Schützenfeste im Wandel der Zeit

Wann die hiesige Schützengilde die ersten Schützenfeste veranstaltete ist nicht mehr bekannt, aber bereits 1455 ist mit dem Landesschießen in Grimma ein erstes Fest überliefert. Allerdings ist unklar, ob in den ersten Jahrzehnten jährlich Schützenfeste stattfanden. Spätestens im 18. Jahrhundert, d.h. vermutlich schon ab der Neubelebung der Schützengilde nach 1680, entwickelten sich diese zu Volksfesten. Organisiert wurden diese Feste von der Schützengilde, aber auch Privatpersonen konnten bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts Preisschießen abhalten. So haben vor allem viele Gaststättenbetreiber jährlich eine oder mehrere Scheiben für Preisschießen gestiftet, wobei sie natürlich damit das eigene Geschäft ankurbeln wollten. Das Schießen auf die Königsscheibe war allerdings immer ein Privileg der Schützengilde. Die Feste fanden meist im Zeitraum von Ende Juni bis August statt, wobei sie sich seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts um die erste Juliwoche konzentrierten. Die Schützenfeste dauerten etwa eine Woche. Im Siebenjährigen Krieg, 1854, dem Ersten Weltkrieg, 1923 und dem Zweiten Weltkrieg fanden keine Feste statt.

Am ersten Tag der Schützenfeste erfolgte der Auszug der Schützenkompanie durch die Stadt zum jeweiligen Schießplatz, in der Regel die sogenannte Schützenwiese neben dem ehemaligen Schützenhaus (Volkshaus). Dort veranstaltete man zumeist ein Punktschießen.

Am zweiten Tag folgte der sogenannte Königsauszug, in dem der Schützenkönig des letzten Jahres mit seinem Gefolge zur Feststafel zog, nachdem die Gilde auf dem Markt eine Parade veranstaltet hatte. Die Tafel fand im Schützenhof oder Schützenhaus statt. Hier wurden der amtierende König mit seinem Ministerium feierlich verabschiedet, Ehrungen für verschiedene Mitglieder vergeben und häufig auch Stiftungen der letzten Könige an die Schützengilde oder für wohltätige Zwecke verkündet. Da die Zahl der dabei getätigten Trinksprüche und Toasts auf eine beachtliche Höhe anwachsen konnte, wurde die Stimmung meist immer fröhlicher. Gegen 16 Uhr wurde die Tafel dann aufgehoben und es ging unter erschwerten Bedingungen zum Königsschießen. Am frühen Abend war in der Regel der neue König ermittelt. Nachdem der neue König während der Königstafel sein neues Ministerium ernannt und verschiedene Ehrungen ausgesprochen hatte, erfolgte der sogenannte Königsauszug zur jeweiligen Festwiese wo, der neue König vom Volk gefeiert wurde. Häufig fanden Festtafel und Königstafel aus wirtschaftlichen Gründen zusammen statt. An den Schützenfesten nahmen neben den heimischen Schützen immer auch Schützenabteilungen aus verschiedenen Orten der näheren Umgebung teil.

Seit der Gründung einer Reiterabteilung bildeten ab 1873 die verschiedenen Wettreiten den Abschluss der Schützenfeste. Bis zum Bau des städtischen Schlachthofes 1899 fanden die Wettkämpfe auf einer ehemals am Oberwerder bestehenden Reitbahn statt, danach meist auf den Böhl’schen Wiesen. Zum festen Bestandteil der Wettkämpfe gehörten ein Trabreiten in 5 Läufen, gestaffelt von 15 bis 45 Minuten, ein Jagdreiten mit ebenso 5 Läufen, gestaffelt von 5 bis 25 Minuten, und häufig ein Hindernisreiten von 45 Minuten Dauer. Der Gesamtsieger wurde aus den Punkten für die einzelnen Rennen ermittelt. Unabhängig vom Schützenfest veranstalteten auch die Reiter Preisschießen, wobei es jedes Jahr ein Schießen für die Ehefrauen der Mitglieder gab. Den sichtbaren Abschluss des Schützenfestes bildete, mit wenigen Ausnahmen, seit 1755 abends ein Feuerwerk.

Während der ganzen Woche waren, entweder auf der Schützenwiese beim Schützenhaus oder der Festwiese beim Schützenhof (Berghotel), zahlreiche Buden und Schaustände, 1893 sogar eine Drahtseilbahn, aufgebaut, so dass die Schützenfeste den Charakter eines Volksfestes für die ganze Stadt annahmen. Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts erfreuten sich die Grimmaer Schützenfeste auch überregionaler Beliebtheit. So war es normal, dass selbst die Leipziger in Scharen nach Grimma pilgerten. Obwohl es zu dieser Zeit weder Bahn noch Automobil gab, kamen sie im Schritttempo zu Fuß oder auf Pferdegespannen nach Grimma. Da die lange Reise bei sommerlicher Hitze durstig und hungrig machte und zudem viele hier übernachteten, werden einige Wirte ein gutes Geschäft gemacht haben. Die große Anziehungskraft der Schützenfeste findet auch darin Ausdruck, dass beispielsweise alleine der Ratskellerwirt Tuma 1856 drei große Zelte auf der Schützenwiese errichten ließ, in denen etwa 400 Personen beköstigt werden konnten. Noch um 1900 kamen an Sonn- und Feiertagen über 2000 Auswärtige nach Grimma. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten änderte sich teilweise auch der Charakter der Schützenfeste. Als Bekenntnis zum Führer wurde 1933 zum Schützenfest am Schwanenteich eine Hitler-Eiche gepflanzt. In den Schützenauszug gesellten sich nun u.a. verschieden Parteiformationen. Wenn es zur Parade auf den Marktplatz ging und bei der Königstafel waren neben den üblichen Vertretern des Stadtrates auch solche der Partei und der Wehrmacht vertreten. Der Verein sah sich jetzt ganz klar als Förderer der Wehrfähigkeit des deutschen Volkes, was sich auch in der geänderten Satzung niederschlug: „Jeder Deutsche ein Schütze, jeder Schütze ein Scharfschütze“. Das letzte Schützenfest fand 1939 statt, bei welchem der Fleischermeister Arthur Findeisen die Königswürde errang. Seine Tochter schenkte 1992 die von ihm aufbewahrten Insignien, wie die Schützenkette, der 1990 neu gegründeten „Privilegierten Schützengesellschaft Grimma e.V .“. Außer den jährlichen Schützenfesten gab es auch Feste zu besonderen Anlässen, welche den üblichen Rahmen bei weitem sprengten. So das 1. Mittelsächsische Gauschützenfest 1887, welches am 3. und 4. Juli den Abschluss der Schützenfestwoche bildete. Zu diesem Anlass wurde eine kleine Festschrift herausgegeben. Einige der über 350 auswärtigen Teilnehmer aus 18 Ortschaften brachten bei dieser Gelegenheit der hiesigen Schützengilde ein paar Ehrengeschenke, wie ein elegant graviertes Silberbesteck aus Delitzsch, mit. Der Festumzug führte vom Schützenhaus vorbei an den festlich geschmückten und beflaggten Häuser der Stadt zunächst zum Marktplatz. Hier hatte man am Rathaus 15 alte Königsscheiben angebracht und hielt mehrere Festreden und eine große Parade ab. Danach zog der Tross, dessen Schluss durch einen Bierwagen der hiesigen Brauerei gebildet wurde, durch die restliche Stadt zur Schützenwiese. Dort angekommen wurde dem Publikum mit einem Zirkus, mehreren Gesangsgesellschaften, Theatervorführungen und vielen anderen Schaustellern einiges geboten. Aber vor allem der Bierwagen, welcher später auf dem Festplatz umherfuhr und kostenlos kühles Bier abgab, zog bei sommerlichen Temperaturen die meisten der zahlreichen Gäste an. Aber auch sämtliche Gaststätten der Stadt waren zum Bersten gefüllt, wozu auch die Besucher beitrugen, die mit mehreren Sonderzügen aus Leipzig kamen. Geschossen wurde auf eine Fest- und eine Punktscheibe, an denen für die besten Schützen zahlreiche Preise gebunden waren. Beim Schießen auf die Festscheibe erhielt Herr Weiske den 1. Preis, beim Schießen auf die Punktscheibe Herr Kümmelmann, beide aus Grimma. Die meisten Gäste verließen die Stadt schon am Abend, wodurch die Bahn vor eine große Aufgabe gestellt wurde. Alleine der letzte Abendzug bestand aus über 40 Waggons. Tausende hatten während der überaus erfolgreichen Schützenfestwoche Grimma besucht.

Auch das 450-jährige Jubiläum der Schützengilde wurde, vom 30. Juni bis zum 7. Juli 1901 besonders begangen. Der Schützenverein nutze das Jubiläum zur offiziellen Einweihung des 1899 gekauften und in „Schützenhof“ umbenannten Gasthauses „Zum Weinberg“. Die Gilde hatte das Restaurant übernommen, um hier einen zeitgemäßen Schießstand und ihr Vereinsheim zu errichten. Der bisherige Schießstand im Schützenhaus war den modernen Waffen nicht mehr gewachsen, weswegen der Verein schon seit 1891 teilweise den Stand der Freihandschützengesellschaft mit benutzte. Die Entfernung von Schießstand und Schützenwiese, auf der nach wie vor die Feste abgehalten wurden, ließ den Wunsch laut werden, Festplatz und Schießanlage wieder zu vereinen. Auch der Schützenhauswirt war nicht traurig über den Verlust des alten Schießstandes, da die Schießübungen in der Regel an Sonntagen stattfanden und die Knallerei die Wochenendgäste belästigte. Als 1899 das Gasthaus „Zum Weinberg“ mit großem Freigelände zum Verkauf stand, glaubte man die Lösung gefunden zu haben. An dem Schützenumzug beteiligten sich zu diesem besonderen Anlass 14 auswärtige Gilden und auch der Festplatz beim neuen Schützenhof war gänzlich mit Schaustellern und Besuchern überfüllt. Zum ersten Mal überhaupt bei einer Festveranstaltung in Grimma wurde von der freiwilligen Sanitätskolonne ein Erste-Hilfe-Zelt aufgestellt. Die Einrichtung erwies sich schnell als sinnvoll. Der erste Patient war ein Kohlenarbeiter aus Bröhsen der einen Zirkusbären geneckt hatte und folgerichtig gebissen wurde. Neben der Königsscheibe wurde auf zwei Punkt-, eine Fest- und eine Meisterscheibe geschossen. Für die Gewinner gab es jeweils einige wertvolle Ehrenpreise.

Das nächste große Ereignis war vom 3. bis 8. Juli 1926 das 475- jährige Jubiläum der Schützen. Alleine der Festumzug umfasste an die 40 Festwagen, Delegationen aus über 40 auswärtigen Schützenvereinen, sowie 15 Grimmaer Gesellschaften; insgesamt etwa 2000 Personen. Das Jubiläum war zugleich das erste große Stadtfest seit dem Brunnenweihfest 1912. Der Festumzug ging vom Steingarten aus durch die gesamte festlich geschmückte Altstadt bis zu Vogels Ballhaus und von dort ohne Wagen zur Festwiese beim Berghotel, die den Besucherandrang nicht fassen konnte. Auf dem Marktplatz wurde wie gewöhnlich Halt gemacht und eine Parade abgehalten. Auch weihte man die neue, von den Schützenfrauen gestiftete, Schützenfahne und empfing von umliegenden Vereinen nicht weniger als 42 Fahnennägel und 2 Schleifen. Da der Wettergott dem Jubiläumsfest nicht gnädig war und wiederholt Platzregen sandte, verlängerte man das Fest kurzerhand um drei Tage bis zum 11. Juli. Im Hinblick auf das Gebotene und der Beteiligung der Bevölkerung war das Fest bis dato einzigartig. Finanziell hatte man allerdings mit Ausgaben von 6878,43 Mark bei Einnahmen von 5247,83 Mark mit einem deutlichen Fehlbetrag von 1630,60 Mark leben müssen. Das letzte größere Ereignis mit überregionaler Bedeutung war das 2. Kreisschießen vom 29. Juni bis zum 7. Juli 1935. In der Festrede des Kommandanten Dr. Neumann wurde deutlich, wie sich das Bild der Gilde seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten gewandelt hatte. Sah man sich während der Weimarer Republik als Bewahrer von Tradition und Einheit des Vaterlandes, kamen jetzt neue Elemente hinzu. Die Schützengesellschaft, nun Gruppierung des Reichsbundes für Leibesübungen, begriff sich auch als Wegbereiter für das Dritte Reich, begrüßte überschwenglich die Wiedereinführung der Wehrpflicht und betonte die Bedeutung der Schützenvereine zur Erhöhung der Wehrkraft. Auch Gemeinschaftssinn und Opferbereitschaft, sowie die Aufgabe der Gesellschaften als Förderer des Deutschtums, wurden von allen Festrednern besonders betont. Nach derlei Ansprachen marschierte man zum Festplatz, wo in alt hergebrachter Weise die Schausteller ihre Zelte aufgeschlagen hatten. Als ungünstig erwies sich die räumliche Trennung von Schießstand am Berghotel und Festplatz, der diesmal auf der Schützenhauswiese war.