Begleitheft zur Ausstellung
Grimmaer Schützenscheiben
Die ersten bemalten Schießscheiben kamen im ausgehenden Mittelalter auf. Vorher schoss man vornehmlich auf ein aufgerichtetes Zielzeichen, dem Vogel auf der Stange oder auf eine gekennzeichnete Wand. Geschossen wurde mit der Armbrust oder dem Bogen, später mit einem Gewehr.
Im Jahr 1532 gab es in Grimma Armbrust- und Büchsenschützen. Beide Gruppen veranstalteten ihr eigenes Preisschießen auf eine Schießscheibe. Nur zum Pfingstfest schossen die Armbrustschützen auf den sogenannten „Pfingstvogel“. Das „Vogelschießen“ oder auch „Königsschießen“ war das große Schützenfest, an dem die ganze Stadt teilnahm. Wer die Spille räumte bzw. den letzten Rest des Vogels von der Stange holte, war der König. Er erhielt den Hauptgewinn. Die anderen Gewinne fielen auf Kopf, Hals, Flügel, Klauen, Schwanz, Krone, Zepter, Ring, Reichsapfel und Fahne. Der Vogel blieb als Symbol des einstigen Schützenzieles auch eines der populärsten Schießscheibenmotive. Im 17. Jh. wurden die Themen und Motive dann vielfältiger. Man findet Tier-, Blumen- und Landschaftsbilder, Ansichten von Städten, Burgen und Schlössern, Darstellungen vom höfischen Leben und aus dem Alltag des Volkes. Bis ins erste Drittel des 19. Jh. sind häufig Allegorien vertreten. Als Vorlage dienten oft illustrierte Kalenderblätter oder zeitgenössische Drucke. Die älteste bekannte Beschreibung einer Grimmaer Schützenscheibe stammt von der Königsscheibe von 1771. Sie zeigte eine gekrönte weibliche Figur mit Schwert und Waage in den Händen, die personifizierte Gerechtigkeit, zu deren Füßen rechts ein Hahn und links eine Henne saßen. Die Umschrift lautete:
Bewundert Sterbliche, bewundert die Natur
Die Glucke nährt ihr Volk, o, lernt und folgt ihr nur,
Sorgt für die Eurigen, seid gegen Andere milde.
Führt Gerechtigkeit, zu eurem Heil im Schilde.
Auch die älteste erhaltene Scheibe von 1815 zeigt eine allegorische Darstellung. Die Göttin Athene steht an einer Säule und weist auf das darauf befindliche Sachsenwappen. Auf der linken Hand trägt sie die mit Lorbeer bekränzte Göttin Nike. Eine kleine Menschenmenge schaut zu ihr hinüber, darunter ein Mann in Uniform. Oben am Bildrand das Auge Gottes. Der Bildinhalt und die Umschrift beziehen sich auf die Befreiungskriege. Am 7. Juni 1815 war der sächsische König Friedrich August aus der Gefangenschaft nach Dresden zurückgekehrt und wurde von der Bevölkerung begeistert empfangen. In der oberen Bildmitte finden sich seine Initialen F.A. Bis in die 1880er finden sich orientalische bzw . fantastische Landschaften, während sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts Motive aus der näheren Umgebung, wie Burgen oder markante Bauten der Stadt besonderer Beliebtheit erfreuten. Jagddarstellungen und historische Ereignisse, wie beispielsweise die Völkerschlacht, finden sich zu jeder Zeit als Motiv. Eine Besonderheit stellen ab den 1920er Jahren Alpenmotive dar, da der Maler Walter Artus, der von 1920 bis 1944 die meisten Scheiben malte, ein großer Alpenfreund war. Gemalt wurden die Scheiben meist von einheimischen Kunstmalern, wie den Mitgliedern der Malerfamilie Lonckewitz, den Malern Harnisch, Zorn und Artus. Daneben sind aber auch auswärtige Maler als Schöpfer von Scheiben bekannt. Die Grundidee für das Scheibenbild des nächsten Jahres lieferte häufig der amtierende Schützenkönig und beauftragte den Maler. Vermerkt wurden Datum und Ort des Schießens, häufig noch der Stifter der Scheibe. Manchmal wurde Platz gelassen, um im Nachhinein den Namen des neuen Schützenkönigs eintragen zu können. Aber das Schießen auf die Königsscheibe stellte nur den Höhepunkt des Schützenjahres dar. Daneben gab es noch eine ganze Reihe anderer Scheiben. Seit 1831 waren die Mitglieder verpflichtet, wenigstens an drei Sonntagen im Jahr an einem Schießen teilzunehmen, wollten sie Disziplinarstrafen vermeiden. Bei diesen Übungsschießen wurde meist auf Punkt- oder Ringscheiben, die keinen besonderen Schmuck aufwiesen, geschossen. Manchmal wurden diese seit der Jahrhundertwende noch mit einer Fotografie versehen. Das Schützenjahr begann im Frühjahr (März-Mai) mit einem sogenannten Anschießen auf die Anschuss-Scheibe. Diese war farbig bemalt, mit Ort, Datum und mitunter dem Namen des Stifters versehen. Im Herbst endete das Jahr mit dem Abschießen auf eine anlog bemalte Abschuss-Scheibe. Gestiftet wurden die bemalten Scheiben in der Regel vom amtierenden Schützenkönig oder Kommandanten, dem sogenannten Ministerium des Schützenkönigs oder sonstigen Vereinsmitgliedern. In seltenen Fällen brachte man auch nur eine Fotografie auf An- bzw. Abschuss-Scheiben an. Dies waren jedoch Ausnahmen in Zeiten wirtschaftlicher Not, wie nach dem 1. Weltkrieg. Eine weitere Gruppe von bemalten Scheiben bildeten solche zu besonderen Anlässen wie die Jubiläumsscheiben, für die 450- und 475-Jahrfeiern der Schützengilde. Auch anlässlich der Einweihung des Schützenhofes 1901 oder dem 1. Gau-Schützenfest 1887 wurden spezielle Scheiben gestiftet. Eine Besonderheit stellten bis ins frühe 19. Jahrhundert von Privatpersonen gestiftete Scheiben dar. Dies konnten sowohl bemalte Scheiben wie auch einfache Ringscheiben sein. Mitunter wurde zu dieser Zeit ein schon etwas altmodisches Vogelschießen abgehalten. Diese meist von Gastwirten veranstalteten Preisschießen hatten allerdings nichts mit der Vereinstätigkeit der Schützengesellschaft zu tun, sondern waren eine reine Privatinitiative. Die Größe der Scheiben variierte im Laufe der Jahrhunderte. Während die ersten Scheiben noch einen Durchmesser von deutlich über einem Meter hatten, waren sie in der ersten Hälfte des 19. Jh. nur noch um die 70-80 cm groß. Seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts verwendete man meist Scheiben mit einem Durchmesser von zirka einem Meter.