Die Stockfabrik Rudolf vom Hau

Zu den heute weniger bekannten Firmen Grimmas gehörte die Schirmstockfabrik des Rudolf vom Hau, die sich in der Leipziger Straße 51b am Oberen Bahnhof befand.

Gegründet wurde die Fabrik im April 1889 von Friedrich Arthur Guido Muldhof, der seinen Betrieb von Leipzig hierher verlegte. In der Fabrik waren in den Gründungsjahren etwa 15 bis 20 Arbeiter beschäftigt, die zum Teil mit reichen Schnitzereien versehene Schirm- und Spazierstöcke produzierten. Verwendet wurden hierzu in der Hauptsache knorrige Baumwurzeln, verzogene Äste oder dünne Stämme von Obsthölzern (meist Birnbaum), aber auch Rohr aus Tongking (Region in Vietnam) wurde verarbeitet. Die Griffe wurden aus Holz, wahlweise auch aus Horn geschnitzt, bemalt oder poliert. Verzierte oder blanke Metallbeschläge dienten häufig als Verbindung von Griff und Stockstange. Ein moderner Gasmotor trieb die Maschinen, wie Kreis-, Band- und Horizontalsägen, an.
Während der Fabrikbetrieb wirtschaftlich produzierte, scheint Muldhof gegen 1894 privat in finanzielle Schwierigkeiten geraten zu sein. Jedenfalls sprechen der Verkauf seines Hausgrundstückes mit Stallungen (für 18.000 Mark), der Pferde und der Umzug in eine Wohnung für diese These. Die Fabrik verkaufte er schließlich am 1. November 1895 an den Kaufmann Rudolf vom Hau.

Zu diesem Zeitpunkt hatte die Fabrik schon an die 50 Beschäftigte. Gearbeitet wurde an Wochentagen wie Wochenenden im Sommer von 6.30 Uhr bis 18.00 Uhr (Sa/So bis 17.00 Uhr) mit einer ¾ Stunde Pause und im Winter von 7.00 bis 17.00 Uhr mit einer ½ Stunde Pause. Allerdings waren trotz der recht hohen Arbeitszeiten laut Arbeitsordnung von 1914 jederzeit Überstunden bis 21.00 Uhr möglich. Über die Löhne ist leider nichts mehr bekannt. Dafür sind die Geldstrafen, welche zwischen 10 und 50 Pfennigen betrugen, weit besser dokumentiert. So kostete zum Beispiel das einmalige Zuspätkommen 10 Pfennige während Rauchen aus Brandschutzgründen mit 50 Pfennigen am höchsten bestraft wurde.

Während die Firma unter Muldhof ausschließlich Spazier- und Schirmstöcke herstellte, schaffte sich vom Hau nach der Jahrhundertwende mit der Produktion von Korbmöbeln ein zweites Standbein. Nun fanden neben Schnitzern und Drechslern auch mehrere Korbmacher in der Fabrik Arbeit. Um die Jahrhundertwende baute vom Hau ein neues Kessel- und Maschinenhaus und erweiterte die Fabrik um einen Flügel. Der Betrieb nahm einen erfolgreichen Fortgang, so dass vom Hau etwa 1903/04 aus dem Wohnhaus auf dem Fabrikgrundstück in die herrschaftlichere Leipziger Str. 37 ziehen konnte.
Nach dem frühen Tod des Rudolf vom Hau am 30. April 1910 ging die Firma in den Besitz seiner Frau Hulda über, welche bereits seit 1904 die Fabrik gemeinsam mit ihren Mann leitete.

Der Beginn des Ersten Weltkrieges brachte auch für die Stockfabrik einschneidende Veränderungen mit sich. Die Produktion von Spazierstöcken wurde zu Gunsten von Handgranatenstielen aufgegeben. Statt Korbmöbeln wurden bis zum Kriegsende Geschosskörbe hergestellt. So suchte die Firma noch am 6. Oktober 1918 per Anzeige Arbeiter/innen zum Flechten von Geschosskörben. Wie bei den meisten Firmen waren auch hier die Umsätze durch Heeresaufträge gesichert, aber Rohstoffmangel und fehlende Arbeitskräfte sorgten für ständige Veränderungen in der Produktion. So waren unmittelbar vor dem Krieg von den 41 Beschäftigten nur fünf Frauen. Ihre Zahl stieg bis 1917 auf etwa 45, während in diesem Jahr nur noch um die zehn Männer beschäftigt waren. Ähnlich der Entwicklung bei anderen Betrieben erreichte die Beschäftigtenzahl 1915 mit 64 Arbeitern ihren Höhepunkt ehe der zunehmende Rohstoffmangel in der zweiten Kriegshälfte zu einer Produktionsverringerung zwang. Auch die Arbeitszeiten veränderten sich. Bis in den Sommer 1917 waren die Aufträge von Handgranatenstielen so umfangreich, dass man Nachtarbeit einführen musste und in 3 Schichten mit etwa 20 Arbeitern (15 davon Frauen) pro Schicht produzierte. Zum Zweck der Lichtersparnis mussten die Arbeitszeiten in der Folge jedoch wieder verringert werden. So wurde in der zweiten Jahreshälfte von 1917 Wochentags nur noch von 7.00-17.00 Uhr gearbeitet und die Pausen gekürzt. Im selben Jahr stiegen auch die Kinder Ernst Eduard Rudolf und Anna Amalie vom Hau in die Firma ein.

Da sämtliche Erzeugnisse der Firma ohne großen technischen Aufwand hergestellt werden konnten, bereitete die Umstellung der Produktion auf die Vorkriegsprodukte nach dem Waffenstillstand keine größeren Probleme. Den Schwierigkeiten, welche die Inflation und die Absatzlage bereiteten, versuchte man auch hier durch die Umwandlung in eine Familien-A.G. im Jahre 1922 zu begegnen. Die Familienmitglieder wurden nun Vorstandsmitglieder. Die 2000 Aktien waren mehrheitlich im Besitz der Familie und es gab lediglich zwei weitere Mitaktionäre, einen Rentner aus Großbothen und einen Bankier aus Leipzig. Der Wert der Firma betrug im Juni 1922, zum Zeitpunkt der Umwandlung, 1.555.823 Mark. Ein Jahr später nahm man auch die Produktion von Spielzeug auf, um sich angesichts der schlechten Auftragslage ein weiteres Standbein zu schaffen.

Allen Bemühungen zum Trotz musste am 21. September 1925 ein Konkursverfahren eröffnet werden. Am 20. Oktober 1926 wurde die auf 43.500 RM geschätzte Fabrik per Zwangsvollstreckung versteigert. Sie umfasste ein Grundstück von 1.940 m2 mit zwei Fabrikgebäuden, einem Wohnhaus mit Korbflechterei, Lagergebäude sowie Kessel- und Maschinenhaus. Neuer Besitzer wurde der Inhaber der Walther-Werke, Ferdinand Walther, welcher an dieser Stelle Werk II (Werk III der ESG) errichtete. Trotz Versteigerung der Fabrik stand bei der Schlussverteilung am 30. September 1927, den Verbindlichkeiten von 27.701,68 Mark nur ein Restvermögen von 1.445,58 Mark gegenüber. Den Restbestand an Korbmöbeln erwarb Emil Schenke, der sie 1925 bis 1927 noch in den Fabrikgebäuden verkaufte. Die Umgestaltung der Räumlichkeiten zu einer Gießerei durch die Walther-Werke begann 1927 und wurde im Sommer 1928 mit der Errichtung von zwei Kupolöfen vorläufig abgeschlossen. Unter Walther, wie auch der ESG, wurde die Gießerei in den Folgejahren wiederholt ausgebaut. Die ehemalige Inhaberin Hulda vom Hau wohnte noch bis in die 1940er Jahre unter bescheidenen Verhältnissen in der Poststraße.

Peter Fricke, 2016