Flucht, Vertreibung, Integration

Texttafeln der Ausstellung

Ausstellung
Flüchtlinge und Vertriebene kommen in die Kreise Grimma, Wurzen und Borna Maßnahmen der Verwaltung gegen das drohende Chaos
Versorgung der Vertriebenen mit Wohnraum, Hausrat und Lebensmitteln
Die Versorgung der Vertriebenen mit Arbeitsplätzen
Horst Anders
Hans-Joachim Kullig

Die Versorgung der Vertriebenen mit Arbeitsplätzen

Um die Lage der Flüchtlinge und Vertriebenen zu verbessern, war man darum bemüht, ihnen einen Arbeitsplatz zu beschaffen. So entschloss man sich zu einer Arbeitspflicht und zu einer Arbeitskräftelenkung innerhalb der SBZ. Die Arbeitsämter registrierten die Umsiedler bereits kurz nach ihrer Ankunft im Lager. Wer sich nicht meldete bekam auch keine Lebensmittelmarken. Gerade Fachkräfte in der Textilindustrie, in der Bau-und Handwerkerbranche wurden in der Nachkriegszeit gesucht.

Da viele Schlesier Bauern waren versuchte man sie in der Land-und Forstwirtschaft unterzubringen. Das Problem hierbei bestand darin, dass Sachsen ein hoch industrialisiertes Land war, 1946 konnte nur ein Viertel der Umsiedler in die sächsische Land- bzw. Forstwirtschaft integriert werden, während der Durchschnitt in der SBZ bei 43,8% lag. Wer es wagte konnte als so genannter Neubauer selbst für seinen Unterhalt sorgen. Dies wurde mit einer Landzuweisung von 5 bis 10 ha pro Hof, Tieren und Krediten unterstützt. Sie wurden auch bevorzugt bei der Ausleihe von landwirtschaftlichen Maschinen durch die Maschinenausleihstationen behandelt. Das Neubauerntum war jedoch kein reines Umsiedlerprojekt, sondern sollte auch Einheimischen eine Lebensgrundlage ermöglichen.

Die Neubauernhöfe gingen ab 1952 zwangsweise mit in den Landwirtschaft-lichen Produktionsgenossenschaften (LPG) auf. Wobei hier nach dem Typ zu unterscheiden ist. Die Bauern bewirtschafteten ihre Böden gemeinsam (Typ I), teilten sich ihre Arbeitsgeräte (Typ II) oder brachten auch ihr Vieh mit in die Genossenschaft ein (Typ 111). Auch Geld musste mit in die Landwirtschaftliche Genossenschaft eingebracht werden. Neubauern und Neuhandwerker konnten einen Kredit bis 5.000 Mark beantragen. Die Kredite wurde nur von wenigen Umsiedlem genutzt. Zum einen waren ihnen die Rückzahlungsraten zu hoch, zum anderen reichten die Kredite allein nicht um ein Haus oder Wirtschaftsgebäude zu errichten und Eigenkapital war nur bei den wenigsten Umsiedlem vorhanden. Hinzu kam, dass das Baumaterial sehr knapp war. Eine Möglichkeit, dieses zu beschaffen, sah man darin, alte Gutshäuser und Schlösser abreißen zu lassen.

Eine andere Möglichkeit war die Tätigkeit im sächsischen Uranabbau für die sowjetischen Atomprojekte in der SAG Wismut. Sie war bei der einheimischen Bevölkerung und auch bei den Umsiedlem trotz der überdurchschnittlichen Bezahlung unbeliebt, da die Arbeitsbedingungen sehr widrig waren.
Die Umsiedler gehörten zu einer der Zielgruppen, die für diese Arbeit angeworben werden sollten. Angenehmer war eine Stelle in der ausufernden Verwaltung der späteren DDR, hier fanden viele der Umsiedler ein Auskommen als Angestellte oder auch als Lehrer. Möglichkeiten gab es auch als Hilfsarbeiter, beispielsweise in der Demontage von Betrieben, die als Reparationszahlungen in die Sowjetunion transportiert wurden oder auch in der Metallindustrie. Dies betraf auch viele Jugendliche, die während ihrer Vertreibung keinen Beruf erlernen konnten oder keinen Schulabschluss erreichten. Sie nahmen oft Stellen als Hilfsarbeiter an, hatten jedoch durch Qualifikation und Leistung die Chance sich weiter empor zu arbeiten. So kann eingeschätzt werden, dass sich die individuelle Integration von Vertriebenen unter den Bedingungen einer industriellen Leistungsgesellschaft vollzog.

Durch das Wirtschaftswachstum und die aufblühende Industrie zog es viele der Umsiedler in die großen Städte. Überall suchte man Arbeitskräfte beispielsweise in der Textilindustrie, im graphischen Gewerbe oder auch bei der Deutschen Reichsbahn. Gerade die jüngere Generation hatte gute Chancen, einen dieser besser bezahlten Arbeitsplätze in der Industrie zu erhalten. Immer mehr glichen sich die Besitzverhältnisse der Umsiedler und der Einheimischen an. Bis in die 1960er Jahre war die Gesellschaft geprägt von einer Aufbau- und Aufstiegsdynamik, die durch Wirtschaftswachstum aber auch durch gewaltsame Verdrängung bisheriger sozialer Eliten erzeugt wurde. Allerdings stieß diese integrative Dynamik auch an ihre Grenzen: bis zum Mauerbau 1961 verließen 900.000 Vertriebene die DDR.