Zwischen Heimatfront und Schützengraben – Der Erste Weltkrieg im Muldental

Ausstellung
Der Erste Weltkrieg – Einführung
Die Stadt Grimma im Erste Weltkrieg
Wirtschaft der Stadt im Erste Weltkrieg
Grimmaer Produkte für die Front
Maschinenbau A.G. Golzern-Grimma
Geschoßkörbe der Firma Tretbar
Fest- und Scherzartikelfabrik Weißing
Rationierung von Lebensmitteln
Ernährungslage in Grimma
Husarenregiment Nr. 19 in Grimma
Vom Schulalltag
Kriegsgefangenenlager Golzern

Rationierung von Lebensmitteln

In Deutschland mangelte es bis Kriegsbeginn bezüglich der Lebensmittelversorgung der Bevölkerung an entsprechenden Planungen und Vorbereitungen für einen längeren Krieg. In Erwartung eines schnellen Sieges wurden selbst die normalen Nahrungsmittelvorräte schon in den ersten Kriegsmonaten verbraucht. Erst nach dem Scheitern des Schlieffen-Plans versuchten staatliche Behörden auf Reichs- und auf Länderebene, steuernd in die Erzeugung und Verteilung von Lebensmitteln einzugreifen. Extrem schlechte Ernten und die Folgen der britischen Seeblockade führten zunächst zur Festlegung von Höchstpreisen für Lebensmittel und nur wenig später zu deren umfassender Rationierung.
Schon mit der Mobilisierung wurden den landwirtschaftlichen Betrieben im Sommer 1914 viele ihrer leistungsfähigsten Arbeitskräfte zur Erntezeit entzogen. Frauen und Kinder sowie die vor allem auf den ostelbischen Gütern eingesetzten polnischen Wanderarbeiter, zu denen im weiteren Kriegsverlauf immer mehr Kriegsgefangene kamen, konnten die Arbeitskraft der eingezogenen Männer aber zu keinem Zeitpunkt vollwertig ersetzen und den deutlichen Einbruch bei der Nahrungsmittelproduktion verhindern. Verantwortlich für den starken Produktivitätsrückgang in der Landwirtschaft waren aber auch die Beschlagnahmung von einer Million Pferde als Zugtiere für die Armee, die immer schlechteren Wartungs- und Ersatzmöglichkeiten von Landmaschinen sowie der schnell steigende Mangel an Düngemitteln. So sank die Kartoffelproduktion von 52 Millionen Tonnen (1913) auf 29 Millionen Tonnen (1918) und der Getreideertrag fiel von 27,1 Millionen Tonnen (1914) auf 17,3 Millionen Tonnen (1918).
Als die Ernteerträge 1915 um fast 20 Prozent unter denen des Vorjahres blieben, wurden nach und nach für fast alle landwirtschaftlichen Produkte Höchstpreise eingeführt. Da es für die Erzeuger jedoch weit profitabler war, ihre Produkte über den „Schleichhandel“ zu vermarkten, statt sie zu den – nicht immer kostendeckenden – Preisen auf dem regulären Markt anzubieten, folgte jeder Festlegung von Höchstpreisen eine tendenzielle Verknappung des regulären Angebots.
Zudem hatten die aus politischen Gründen niedrig gehaltenen Preise für Kartoffeln und Brotgetreide viele Landwirte veranlasst, diese Grundnahrungsmittel zur Produktion von teurem Schweinefleisch zu verfüttern. Um den völligen Zusammenbruch der Kartoffelversorgung in den industriellen Zentren zu verhindern, wurde zwar im Frühjahr 1915 das Abschlachten eines guten Drittels des gesamten Schweinebestandes angeordnet, doch trotz des von den Landwirten heftig kritisierten „Schweinemords” verbesserte sich die Kartoffelversorgung in den Städten kaum; das Schweinefleisch verschwand auf dem Schwarzmarkt und zog die Preise für andere Fleischsorten in bis dahin unbekannte Höhe.
Versorgungsengpässe, steigende Lebensmittelpreise und nicht zuletzt das Gefühl einer ungerechten Verteilung führten schon 1915 zu ersten Hungerkrawallen. Infolge der äußerst unzureichenden Versorgung im Winter 1915/16 wurde im Mai 1916 schließlich das Kriegsernährungsamt als eine dem Reichskanzler unmittelbar unterstellte Reichsbehörde ins Leben gerufen.
Trotz des im Herbst 1916 eingeführten Systems einer umfassenden Rationierung aller Lebensmittel reichten die zugeteilten Mengen bei weitem nicht mehr zur Deckung des täglichen Kalorienbedarfs aus. Die Versorgung mit Milch, Butter, Eiern und Fleisch brach zeitweise völlig zusammen. Nach der wiederum unerwartet schlechten Kartoffelernte von 1916, die bei 50 Prozent des durchschnittlichen Ertrags lag, konnte das ausufernde System von Rationierung und Reglementierung den katastrophalen „Kohlrübenwinter” 1916/17 nicht verhindern.
Gegen die vielerorts aufkommenden Hungerunruhen wurden nun reguläre Armee-Einheiten eingesetzt. Nach der russischen Februarrevolution entlud sich die Unzufriedenheit über die schlechte Ernährungslage in ersten Massenstreiks. In Deutschland starben von 1914 bis 1918 insgesamt etwa 800.000 Menschen an Hunger und Unterernährung.