Als in Grimma das Gewerbe blühte

Die Industrie- und Gewerbeausstellung 1908

Die Festspiele

Eine kleine Besonderheit der Grimmaer Gewerbeausstellung stellten die Festspiele dar, welche es in dieser Fülle bisher noch nicht gegeben hatte und die maßgeblich zum Erfolg beitrugen.

Mit wenigen Ausnahmen wurden die zwei Festspiele „Aus Grimmas Vergangenheit“ und „Der Nonnen Entführung“ täglich im großen Saal des Schützenhauses aufgeführt. Dazu gesellte sich in den letzten Ausstellungstagen eine Märchenaufführung. Allein diese drei Veranstaltungen wiesen 8.269 Besucher auf und brachten Einnahmen in Höhe von 2361,45 Mark. Wichtiger als der Geldertrag war jedoch, dass sie für eine kurzweilige Unterhaltung der Ausstellungsbesucher sorgten.

Das erste Festspiel, „Bilder aus Grimmas Vergangenheit“, wurde vom Seminaroberlehrer Karl Max verfasst und stellte in vier Akten die Stadtgeschichte vom 15. Jahrhundert bis hin zur Völkerschlacht dar. In einer Einführung schilderte die Personifikation der Stadt, „Grimmensia“, einem fiktiven Ausstellungsbesucher zunächst kurz die Frühzeit der Stadt, um dann in das erste Bild überzuleiten. Im Hintergrund ertönte das Lied: „Im Tale wo die Mulde fließt…“.

Der 1. Akt spielt 1450 im Grimmaer Schloss und hatte den sächsischen Bruderkrieg (1446-1451) als Thema. Die Gemahlin von Kurfürst Friedrich II., Margarete von Habsburg, empfängt einen Ritter, der ihr Nachricht vom Krieg bringt. Eine kleine Rolle spielt hier natürlich auch ihr Sohn, Albrecht der Beherzte, welcher 1443 im Grimmaer Schloss geboren wurde.
Der 2. Akt entführt den Besucher in die Zeit der Reformation. Luther soll in Grimma den Entschluss zu seinen Thesen gefasst haben, als er von der Tätigkeit Tetzels im nahen Wurzen hörte. Im zweiten Bild streiten sich 1528, wenige Jahre nach dem Thesenanschlag, ein protestantischer Schuhmacher und ein katholischer Wirt um die Hochzeit ihrer Kinder. Der Wirt will zunächst seine Tochter nicht an einen Protestanten geben und eher zulassen, dass diese sich in ihrem Unglück umbringt. Doch am Ende siegen Vernunft und Vaterliebe.
Der 3. Akt entführt den Besucher in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges (1644). In diesem Bild versteckt eine alte Frau einen Grimmaer Bürger, der sich tapfer gegen die angreifenden Schweden gewehrt hat. Vor allem der Zusammenhalt der Bürgerschaft gegen innere und äußere Gefahren wird in diesem Bild beschworen.

Der letzte Akt handelt während der Völkerschlacht. Ein Meister, der schon drei Söhne in den napoleonischen Feldzügen verloren hat, sein Geselle und sein Lehrling erinnern sich der schweren Jahre, die für Grimma massenhafte Einquartierungen und Requirierungen bedeuteten. Handwerk und Handel lagen darnieder und die Bevölkerung verarmte. In der Ferne tobt die Völkerschlacht, bis am Ende der Szene der letzte überlebende Sohn des Meisters hereinkommt und vom Sieg der Verbündeten berichtet. Deutschland ist vom Joch Napoleons befreit.

Zum Ausklang führt Grimmensia den Ausstellungsbesucher noch durch die letzten Jahrzehnte. Das Stück endet mit einem Lobgesang auf Grimma und sein Gewerbe.

Das zweite Festspiel, „Der Nonnen Entführung“, stammte vom Bahnhofsvorsteher Philipp Hallbauer und widmete sich in Versform der bekannten Nonnenflucht aus dem Kloster Nimbschen mit Hilfe des Torgauer Ratsherren Leonhard Koppe. Im Prolog verrät ein Herold zunächst den angedachten Fluchtplan. Ein Chorgesang der Nonnen leitet danach in die erste Szene über, in welcher Katharina von Bora voller Freude von den Fluchtplänen erfährt. Die Äbtissin, welche die Empfänglichkeit Katharinas für Luthers Lehren bemerkt, tritt auf. Zwischen beiden entwickelt sich ein Streitgespräch, in welchem Katharina Luther vehement verteidigt. Der Akt schließt mit einem Gelöbnis der Äbtissin, für das Seelenheil der Abtrünnigen zu beten.
In der zweiten Szene erscheint der Pförtner und meldet die Ankunft eines Fremden (Koppe’s) mit Liebesgaben für das Kloster, nämlich eine Ladung besten Weins. Der gesittete Fremde tritt auf und verrät dem Publikum den Zweck seines Erscheinens. Er nutzt die Schwächen der Äbtissin und des Pförtners aus, um sein Vorhaben durchzuführen. Es folgt eine Szene mit dem Ratsherrn und der Äbtissin beim Weingenuss, in welcher dieser seine Fluchtvorbereitungen trifft. Im letzten Akt verläßt Leonhard Koppe unerkannt mit den neun in einem großen Fass versteckten Nonnen das Kloster. Im Epilog berichtet der Herold noch von der Verheiratung Katharinas und den übrigen Nonnen. Die Dichtung endet mit der Lobpreisung von Luthers Werk unter den Klängen des Liedes „Eine feste Burg ist unser Gott“.

Die Darsteller der beiden Festspiele, waren Bürger der Stadt, Handwerker und deren Familienmitglieder, sowie einige Schüler des Lehrerseminars. Für die musikalische Umrahmung sorgten die verschiedenen Gesangsvereine Grimmas.

Am 24. Juni wurde von der Bürgerschule das Märchenspiel „Schneewittchen“ aufgeführt und am 26. Juni für alle Kinder der Stadt noch einmal kostenfrei wiederholt. Es war die aufwendigste Aufführung während der Gewerbeausstellung, da neben einigen Lehrern 260 Kinder der Bürgerschule beteiligt waren. Dazu kamen noch die Musiker des Stadtorchesters.
Inszeniert wurde das Stück in drei Akten von dem Bürgerschullehrer, Kantor und Kirchenmusikdirektor Karl Zeidler. Der 1. Akt spielt im Königsschloss und wird von dem Fest beherrscht. Im 2. Akt befindet sich Schneewittchen bei den sieben Zwergen und bekommt von der bösen Stiefmutter den vergifteten Apfel. Zum Schluss erwählt der Königssohn das wiedererwachte Schneewittchen zu seiner Braut. Während die ersten beiden Akte sich relativ streng an das Märchen halten, weicht der 3. Akt deutlich davon ab. Die Stiefmutter bereut ihr Handeln und ist auf Versöhnung aus. Die Szene endet mit dem Hochzeitsfest, bei dem zur Belustigung der Zuschauer als Stück im Stück Humperdinck’s „Hänsel und Gretel“ aufgeführt wird.

Die zwei Aufführungen wurden von 1.543 Personen besucht und fanden allgemeinen Beifall. Nur das Stadtorchester soll enttäuscht haben.