Als in Grimma das Gewerbe blühte

Der Grimmaer Gewerbeverein

Der Grimmaer Gewerbeverein wurde am 18. Mai 1858 im Saal der Gattersburg gegründet. Die erste Anregung zur Gründung eines örtlichen Vereins kam vom Zentralvorstand der sächsischen Gewerbevereine, in Person von Herrn Rewitzer, welcher Vorsitzender der II. Sächsischen Ständekammer und des Zentralvereins war. Die Gründung in Grimma wurde vor allem von Stadtrat und Knopfmachermeister Daberkow, Nadlermeister Eger, Buchbindermeister Vorholz und dem Arzt Kollert vorangetrieben. Neben den vier Initiatoren traten am 18. Mai 42 weitere Personen auf der Gründungsveranstaltung dem Verein bei. Hintergrund für die Gewerbevereinsbildungen waren die veränderten Rahmenbedingungen für Handel und Handwerk, welche sich durch die fortschreitende Industrialisierung und das Bevölkerungswachstum ergaben. Der Verein sollte dem hiesigen Gewerbe helfen, mit der aktuellen Entwicklung Schritt zu halten. Hauptanliegen war nach §1 der Vereinssatzung die „Hebung der Intelligenz, sowie Förderung aller übrigen Interessen des hiesigen Gewerbestandes“. So stellte sich der Verein das Ziel, den Wissensstand der Mitglieder, z.B. durch Vorträge, zu steigern und den Zusammenhalt des örtlichen Gewerbes zu stärken, um gegen die steigende Konkurrenz durch Großbetriebe ankämpfen zu können. Um diesen Zielen praktischen Ausdruck zu verleihen, wurde 1860 innerhalb des Vereins eine Vorschusskasse etabliert, welche Kleingewerbe finanzieren sollte oder den Mitgliedern Kapital für Neugründungen oder Geschäftserweiterungen zur Verfügung stellte. Aus dieser ersten Einrichtung entstand schließlich der 1862 gegründete Vorschuss-Verein, welcher 1887 in die Vereinsbank umgewandelt wurde und deren noch heute sichtbares Zeichen das 1900 eingeweihte Bankgebäude in der Hohnstädter Str. 2 ist, welches nicht ohne Grund in seinem Bauschmuck Allegorien des Handels zeigt.

Eine weitere Maßnahme des Vereins war die Reformierung der seit 1831 bestehenden Sonntagsschule, die Lehrlingen eine schulische Fortbildung anbot. Sie wurde hauptsächlich durch Spenden finanziert und von einer Gruppe hiesiger Gewerbetreibender, die teilweise gleichzeitig als Lehrer an der Schule wirkten, sowie anderen Förderern betrieben. Aus der Sonntagsschule entwickelte sich später die Fortbildungsschule, da hier den Lehrlingen in mehreren gewerbespezifischen Klassen, ähnlich der heutigen Berufsschule, das nötige theoretische Grundwissen besser vermittelt werden konnte. Der Verein unterstützte die Schulen durch jährliche Zuwendungen bzw. durch Stipendien. Er trat für einen Schulzwang in die Sonntagsschule und später in die Fortbildungsschule ein. So waren Abgänger der Volksschule verpflichtet, die Fortbildungsschule oder die 1857 vom kaufmännischen Verein gegründete Handelsschule drei Jahre lang zu besuchen.

Daneben betrieb der Verein eine Volksbibliothek, in welcher aktuelle Fachbücher, -magazine und -zeitungen vorhanden waren. Die Bibliothek befand sich meist in den Ladengeschäften von örtlichen Buchhändlern, welche gleichzeitig als Bibliothekare fungierten. Seit 1883 befand sich die Volksbibliothek im Haus des Buchhändlers Gensel. Sie umfasste im Schnitt etwa 1.500 Bände.

Obwohl der Verein im Bildungssektor eine rege Tätigkeit betrieb, was sich auch in seiner Mitgliedschaft im Verein für Volksbildung widerspiegelt, blieben die Lehrer der Schulstadt Grimma ihm eher fern.

Auf politischer Ebene trat der Gewerbeverein in Erscheinung indem er verschiedene Kandidaten auf lokaler und Landesebene unterstützte oder selbst Petitionen im Landtag einreichte beziehungsweise sich an solchen beteiligte. So war der Verein beispielsweise an den Petitionen für den Bau der beiden Bahnlinien über Grimma, für eine Reform der Gewerbeordnung oder einer Petition für den Erhalt der hiesigen Garnison beteiligt. Um diese Ziele besser umsetzen zu können wurden auch Abgeordnete für Handels- und Gewerbekammern gewählt. Gelegentlich wurde der Gewerbeverein um Gutachten ersucht.

Daneben veranstalte man für die Mitglieder und ihre Familien zahlreiche Ausflüge, wie zu Gewerbeausstellungen oder Fabrikbesichtigungen. Aber auch reine Vergnügungsausflüge und -veranstaltungen fanden jährlich statt.
Trotz der regen Tätigkeit verlor der Verein in den 1860ern viele Mitglieder an den neu gegründeten Handwerkerverein, da das hiesige Gewerbe weitaus mehr vom Handwerk als vom Handel bestimmt war, so dass bereits 1866 eine Auflösung zur Debatte stand. Erst der Zusammenschluss beider Vereine 1875 führte zu einer Wende und in der Folge zu einer neuen Blüte des Vereins welche bis zum Ersten Weltkrieg andauerte.

Dies äußert sich auch in den Mitgliederzahlen. Hatte der Gewerbeverein vor dem Zusammenschluss nur noch knapp über 30 Mitglieder, stieg deren Zahl zum Jahresende 1875 auf 151 und in der Folge beständig weiter, so dass er in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg gegen 200 Mitglieder zählte.
Aufgrund der katastrophalen wirtschaftlichen Verhältnisse nach dem verlorenen Krieg regte der Grimmaer Gewerbeverein 1920 die Gründung des Gewerbeverbandes an, in welchem sich verschiedene Gewerbevereine und Innungen der damaligen Amtshauptmannschaft organisierten.
Danach bestand der Verein zwar fort, trat aber kaum noch eigenständig in Erscheinung, zumal nach 1933 Vereinstätigkeit außerhalb der politischen Organisationen ohnehin unerwünscht war.